Männlichkeit und Rap – Interview mit Heidi Süß
Die ersten richtigen Veröffentlichungen des Forums kommen im Rahmen unserer Veranstaltungs- und Publikationsreihe AGORA BERLIN. Dort haben an drei Terminen im Sommer 2024 verschiedene Expert*innen Texte, Vorträge und je einen Podcast produziert. Den Anfang macht jetzt hier online Heidi Süß, die begleitend zu ihrem Vortrag am 10.7. mit dem Titel “Rap, Männlichkeit und Szenekritik. Eine Bestandsaufnahme aus Forschung und Praxis” nun auch noch interviewt wurde. Demnächst erscheint auch noch der Podcast, der im Anschluss zum Vortrag entstand.
AGORA BERLIN wurde gefördert von der Amadeu-Antonio-Stiftung und der Berliner Landeszentrale für politische Bildung.
Nach dem Männlichkeitsforscher Rolf Pohl ist in der Mannwerdung von Jungs, der großen Vermännlichung, schon die Abwertung von Weiblichkeit angelegt.
Man könnte das umschreiben mit “Willst du ein echter Mann werden, musst du alles in dir und anderen kaputtmachen, was nicht ‘echt männlich’ ist”. Was für Beispiele in deiner Forschung be- oder widerlegen Pohl in dem Punkt?
Nichts. Ich würde mir aber auch nicht anmaßen, dem Kollegen Pohl zu widersprechen. Der weiß schon genau, wovon er da redet. Er forscht ja auch schon ewig zu alldem. Übrigens würde ich – bei allem Respekt – behaupten wollen, dass das keine Erkenntnis von Rolf Pohl im Besonderen oder ein Ergebnis dieser oder jenen konkreten Studie ist. Dass sich Männlichkeit in der Abwertung von und der Abgrenzung gegenüber Weiblichkeit (und allem Weiblichen) herausbildet, dass das also der generelle Konstruktionsmodus oder die allgemeine Art und Weise ist, wie Männlichkeit als soziale Praxis funktioniert, das ist eher ein männlichkeitstheoretischer Allgemeinplatz, würde ich sagen. Das kannst du auch bei anderen Soziolog*innen nachlesen, zum Beispiel bei Pierre Bourdieu, Raewyn Connell, Michael Meuser oder Lothar Böhnisch. Ich sehe das übrigens nicht nur in meiner Forschung bestätigt, sondern auch in meinem ganz normalen Alltag, zum Beispiel bei mir im Kampfsporttraining.
Übrigens betrifft das ja nicht nur Jungs oder Männer. Wir leben ja in einer Gesellschaft in der männliches Verhalten oder männlich codierte Eigenschaften grundsätzlich höherbewertet werden als weibliche. Entsprechend haben auch viele weiblich* sozialisierte Personen früh gelernt, sich dem männlichen Habitus anzunähern oder gewisse weiblich konnotierte Dinge zu unterdrücken oder nicht zuzulassen, einfach um ernster genommen zu werden. Viele queere oder weiblich* sozialisierte HipHop-Menschen können dir ein Lied davon singen. Ich auch.
Eine weitere Ikone der Männlichkeitstheorie ist Klaus Theweleit. Hast du im Bezug auf Rap und HipHop schon mal mit seinen Ideen zu tun gehabt?
Ja klar. Um Klaus Theweleit kommt man nicht herum, wenn man anfängt sich mit Männlichkeiten zu beschäftigen, er ist sowas wie der OG in diesem Game. Seine Pionierarbeit „Männerphantasien“ steht hier auf jeden Fall bei mir im Regal, gleich neben dem ganzen anderen Psychoanalysekram von Freud, Fromm und C.G. Jung. Alles Bücher, die ich von meinem Vater habe. Wir haben hier so ein kleines Psychoanalyse Faible in der Familie Süß, musst du wissen. Ich muss allerdings sagen, dass ich keine Theweleit-Expertin bin. Ich habe mal einen, ich nenne es mal „psychoanalytisch informierten“ Artikel über die Rolle der Mutter im Rap geschrieben. Da habe ich mich aber auf aktuellere Autor*innen bezogen, Aigner, Dammasch, Metzger sind da so Namen, wen das interessiert.
Aber zurück zu Theweleit. Ich kenne natürlich die Idee vom männlichen Körperpanzer und habe sie oft im Hinterkopf, wenn ich über Männerkörper nachdenke. Und ich denke recht viel über Männerkörper nach. Das klingt jetzt etwas schräg, aber ich bin ja auch Boxtrainerin und habe diese Körper mehrmals die Woche quasi in der Nahdistanz vor mir stehen.
Gibt es für dich Grenzen bei der Nachvollziehung männlicher Perspektiven und Weltanschauung? Wo hast du solche einmal wahrgenommen und was hat sich vielleicht auch über die Jahre geändert?
Die Frage verstehe ich nicht ganz, kannst du sie umformulieren?
Du arbeitest ja als Frau zu Männlichkeit. Mal abgesehen davon, dass Männlichkeit in extrem vielen Bereichen und im Rap ganz besonders als die unsichtbare Norm über allem steht und daher auch Frauen und Queers permanent davon mitbekommen: Gab es schon Situationen, wo du den Eindruck hattest, dass deine Sozialisation als Frau es dir schwerer macht, männliches Verhalten, männliche Äußerungen, Ideale etc. nachvollziehen zu können? Gibt es z.B. körperliche Grenzen oder valide Argumente, in denen ein Mann sagen könnte: „Das kannst du nicht verstehen, wenn dir nicht dieses oder jenes “männliche” Verhalten mit Gewalt aufgezwungen wurde, weil du eben nicht als Junge und dann Mann sozialisiert wurdest.“?
Hm, also ich bin mir nicht sicher, ob es zutrifft, dass ich „als Frau“ zu Männlichkeit arbeite und eine „Sozialisation als Frau“ durchlaufen habe, das ist mir irgendwie zu eindeutig und so eindeutig würde ich das in meinem Fall nicht sehen. Ich definiere mich nicht so sehr über die Kategorie Geschlecht. Also aus mir heraus zumindest nicht. Dass sie von außen bzw. der Gesellschaft an eine*n herangetragen wird und man sich ständig dazu verhalten soll, ist eine andere Sache, die mich natürlich genauso betrifft, wie alle anderen.
Jetzt zu deiner Frage: Zum Thema Sozialisation fallen mir in meinem Fall vor allem zwei Sachen ein, nämlich Sport und HipHop. Beides Felder, die entlang männlich codierter Logiken funktionieren, wie ja die meisten gesellschaftlichen Felder. Also Leistung, Wettbewerb, Dominanz, Konkurrenzfähigkeit usw. Wenn man einen Großteil seiner Kindheit und Jugend zwischen Turnhalle, HipHop-Jam und Bongzimmer verbringt, dann bekommt man schon eine sehr genaue Idee von dem, was der Männlichkeitssoziologe Michael Meuser den „männlichen Habitus“ nennt.
Ich würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass er mir teilweise sogar vertrauter ist, als der weibliche – um mal in dieser binären Logik zu bleiben. Ich habe ja auch einiges davon inkorporiert oder inkorporieren müssen. Vieles davon sehe ich heute kritisch und versuche, es wieder loszuwerden. Anderes aber auch nicht, weil es gut zu mir passt. Ist ja auch nicht alles schlecht an diesem Männlichkeitending. Abgesehen von meiner Sozialisation bin ich verhältnismäßig umfänglich in die Literatur eingelesen, deshalb behaupte ich jetzt mal, dass ich schon einen ziemlich differenzierten Blick auf dieses Thema habe.
Meine Position in diesem Diskurs ist ja auch sowieso ein wenig speziell. Also in diesem Dreieck: HipHop, Feminismus und Männlichkeiten, das ich da bediene, sag ich jetzt mal. Auf der einen Seite bin ich sehr kritisch und gehe wirklich hart mit Rap ins Gericht. Ich spreche regelmäßig öffentlich über Sexismus, Misogynie und problematische Männlichkeitsbilder im Rap, weil mich das einfach hart abfuckt und weil ich nicht fassen kann, was da jede Woche teilweise für eine Scheiße released wird.
Abgesehen davon macht es sonst niemand und irgendwer muss es aber machen. Auf der anderen Seite breche ich ständig eine Lanze für Rap und versuche mit Ängsten und Vorurteilen über die Szene aufzuräumen. Viele Leute haben wirklich überhaupt gar keine Ahnung, ich merke das ja auf meinen Vorträgen. Außerdem versuche ich die Menschen für die Komplexitäten, Ambivalenzen und Pluralitäten von Männlichkeiten zu sensibilisieren. Auch da ist mir der Diskurs nämlich viel zu einseitig und unterkomplex. Was Rap angeht außerdem überladen mit rassistischen und klassistischen Klischees, die ich versuche aufzudröseln.
Vor zehn Jahren gab es viel weniger rappende Frauen im deutschsprachigen Raum, von queeren und nonbinären oder trans Rapper*innen ganz abgesehen. Da hat sich offensichtlich einiges getan. Was wären deine Kriterien dafür, ob über die reine Repräsentationsfrage hinaus wirklich eine Verbesserung des Status Quo beim Sexismus im Rap erreicht wurde? Reicht es, dass nicht mehr fast nur Jungs und Männer rappen? Anders gefragt: Gibt es wirkliche Befreiung im Kapitalismus?
Also ich gebe hier jetzt keinen Kriterienkatalog raus, sorry. Aber was ich sagen kann: Ja, es hat sich in den letzten zehn Jahren einiges verändert! Mein 15jähriges HipHop-Ich wäre happy über so viele Identifikationsmöglichkeiten und ein so reiches Spektrum an Erzählungen, Ästhetiken und Subgenres. Andererseits: Nur weil Shirin David 2024 Headlinerin auf dem Splash ist, haben wir das Sexismusproblem im Rap ja noch nicht gelöst. Ich kann mich nach all den Jahren ehrlich gesagt schon selbst nicht mehr reden hören, aber das Sexismusproblem im Rap ist ein strukturelles Problem. Es hat nichts mit Rap zu tun, sondern mit der grundlegend misogynen Gesellschaft, in der er stattfindet und die der Grund dafür ist, dass jede Woche neue KO-Tropfen Lines in der Modus Mio-Playlist released werden, was im Übrigen kaum jemand mitschneidet, weil wir das alle schon so internalisiert haben, dass es uns gar nicht mehr auffällt. Und ja, dass das so gut funktioniert hat auch mit einer kapitalistischen Vermarktungslogik zu tun bzw. ist eng mit ihr verwoben, was am Ende die ganz großen Systemfragen aufwirft. In dieses Fahrwasser begebe ich mich jetzt aber nicht, das sollen andere machen.
Ich denke, dass wir bei all dem leider viel Geduld mitbringen müssen, denn eine gewachsene Struktur ändert sich nicht über Nacht. Natürlich bin ich auch manchmal resigniert und genervt, weil ich seit Jahren die gleichen Sachen erzähle und sich gefühlt irgendwie überhaupt nichts ändert. Andererseits ist es aber auch schon ein Gewinn, dass wir jetzt langsam einen kritischen Diskurs im Rap haben, der sukzessive ins Zentrum der Kultur rückt und nicht mehr nur auf irgendwelchen linken Podien diskutiert wird, wo sowieso alle der gleichen Meinung sind. Außerdem findet er jetzt mehr und mehr medial statt und das ist echt ein Unterschied zu früher. Ich meine, ich werde fast jede Woche von den Öffentlich-Rechtlichen und anderen Medien angefragt, mich zum Thema Geschlecht, Männlichkeit, Feminismus etc. im Rap zu äußern und da irgendwas einzuordnen. Da scheint es also eine echte Nachfrage und Interesse zu geben, was mich nicht wundert, weil Rap einfach die wichtigste Gegenwartskultur des 21. Jahrhunderts ist.
Ist postmännliche Realness möglich? Kann die sehr stark ineinander verwobene Geschichte von HipHop-Kultur und mit Männlichkeit assoziierten Ideen aufgedröselt werden?
Ich finde den Begriff der „postmännlichen Realness“ ja etwas kurios, um ehrlich zu sein. Also „postmännlich“ ok, darunter kann ich mir was vorstellen. Wenn es darum geht, die aktuell (nicht nur, aber auch im Rap) existierende Idee von Männlichkeit kritisch zu hinterfragen, die Anteile, die wir ja seit Neuestem „toxisch“ nennen, im besten Fall zu tilgen und zwar alle gemeinsam und auf Augenhöhe und nicht von oben oder aus einer links-akademischen, feministischen Bubble heraus, dann fände ich das cool und unterstützenswert. Das ist aber ein sehr langer Weg auf dem wir uns auch noch sehr selbstkritisch und -reflexiv mit unseren eigenen Verwicklungen und auch Versäumnissen auseinandersetzen müssen, zum Beispiel auch mit Sprache, um mal eines von vielen Beispielen zu nennen.
Jetzt zum Realness-Begriff. Hm, also damit habe ich echt so meine Probleme. Realness-Debatten erinnern mich immer an mein 15jähriges HipHop-Ich, als es noch den „Sell-out“ Begriff gab und sich Leute gegenseitig „Headz“ genannt haben. Das wirkt für mich aus der Zeit gefallen. Abgesehen davon, frage ich mich, was das überhaupt sein soll und wer sich anmaßen will, das zu definieren oder hier eine allgemeingültige Wahrheit zu postulieren, denn die gibt es nicht. Im Männlichkeitendiskurs und der zugehörigen Literatur ist realness – übersetzt als „Authentizität“ – übrigens ein eher problematischer Begriff. Wenn es um „echte“, „wahre“ oder eben „authentische“ Männlichkeit geht, schrillen bei mir sowieso die Alarmglocken. Dieses Vokabular wird auch im maskulinistischen Diskurs und in der Neuen Rechten verwendet, wo eine essentialistische Perspektive dominiert, die auf eine in der Biologie verankerte Differenz zwischen Männern und Frauen besteht. Kurz gesagt würde ich eine kritische Diskussion dieses Begriffes anregen wollen, sowohl aus einer HipHop- als auch aus einer Männlichkeitenforschungsperspektive.
Ja, auf jeden Fall! Genau deswegen ja postmännliche Realness. Weil da so viel an Männlichkeitsquatsch in dem Begriff der Realness steckt, sie aber dennoch auch ein paar Schätze birgt, die ohne diesen argen Bezug zum Geschlecht besser atmen können.
Ja, verstehe den Punkt. Vor allem hast du mit der Realness natürlich den Bezug zum HipHop hergestellt und das macht total Sinn. Ich persönlich habe mit dem Begriff trotzdem nichts am Hut, aber wir müssen da ja auch nicht einer Meinung sein, wäre ja auch langweilig. Grundsätzlich sind wir auf Linie was diese ganzen Sachen angeht, insofern habe ich da gar nichts mehr hinzuzufügen und wünsche dir auf jeden Fall ganz viele gute Gespräche, Projekte und Erfolge mit dem Forum.
Dankeschön. Und vielen Dank für das Gespräch!