Nazis und Rap – Interview mit Thorsten Hindrichs
Thorsten Hindrichs ist Musikwissenschaftler und Antifaschist. Er veröffentlicht seit Jahrzehnten Analysen zu extrem rechter Musik und hat sich auch schon länger mit Rap von Nazis befasst, den es in Deutschland (wo sonst?) auch gibt.
Wenn man sich gerade das Männerbild anschaut, unterscheidet sich Rap von Nazis nicht grundlegend von einer sehr weitverbreiteten Vorstellung der durchschnittlichen DeutschRap-Spotify-Playlist von Majorlabels oder solchen, die es gern wären: Härte, Stolz, die völlig ernstgemeinte Überhöhung der eigenen Gruppe, Zynismus, Drohgebärden gegen „die anderen“, Sexismus und Rape Culture, Homophobie und natürlich der offenste Antisemitismus. Was ist deiner Meinung nach der wichtigste Unterschied?
Hindrichs: Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich so aus, als würde dieses Männerbild in beiden Fällen über die gleichen topics verhandelt. Der zentrale Unterschied ist nach meiner Wahrnehmung aber der, dass Härte, Stolz, Homophobie, Antisemitismus usw. im RechtsRap in den, ich nenn’s mal, politisch-ideologischen Überbau der extremen Rechten eingebettet sind. Das gehört also alles untrennbar zur politischen Agenda extrem rechter Ideologie, die hier via Rap artikuliert wird: Der (r)echte deutsche (sprich: weiße) Mann muss zwingend so und so aussehen / denken / sich verhalten, um überhaupt als (r)echter deutscher Mann gelten zu können.
Wieso genau ist aber der deutsche Weltruhm als der richtigste Mann von allen eigentlich das anscheinend wichtigste Ziel im Leben? Man könnte ja auch z.B. Zufriedenheit anstreben oder den Weltrekord im Rumlümmeln.
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Ok, also ist bei den Nicht-Nazis die Menschen- und v.a. Frauenverachtung sowas wie ein Nebenprodukt, aber meist nicht explizites Ziel. Meinst du nicht, dass durch die Beiläufigkeit bei den Nicht-Nazis mitunter noch viel größere Wirkung entsteht? Eben weil die Nazis sich auch durch die Brechstange einiges kaputtmachen und der „casual“ Sexismus, Antisemitismus etc. viel stärker normalisiert. Und die männlichsten Männer wollen sie ja in der Regel auch sein und das geht ja immer einher mit Abwertung von allem „Weiblichen“.
Hindrichs: Nein, es ist kein „Nebenprodukt“, das Männerbild der extremen Rechten gehört zwingend zu deren politisch-ideologischem Überbau dazu, das ist ein ideologischer Baustein unter vielen, aber kein Nebenprodukt. Entscheidend ist, dass sich in der extremen Rechten diese ganzen menschenverachtendenen Haltungen wie Stolz, Sexismus, Homophobie, Antisemitismus, Biologismus usw. zu einem – wenigstens einigermaßen – geschlossenen Weltbild zusammenfügen, aus dem kein Baustein so ohne Weiteres herausgelöst werden kann. Antisemitismus zum Beispiel findet sich aber leider ja auch außerhalb der extremen Rechten in allen (un-)möglichen sozialen Zusammenhängen, ohne dass die alle gleich zur extremen Rechten gehören würden. Die extreme Rechte selbst kann bzw. will aber auf Antisemitismus als ideologischen Baustein auch nicht verzichten. Dass die ganze Palette an Einstellungen, die für die extreme Rechte konstitutiv sind, sich im Einzelnen auch in anderen sozialen Zusammenhängen wiederfinden lassen, ist aber selbstverständlich ein Problem, gerade mit Blick auf die Normalisierung menschenverachtender Einstellungen.
Wo sich der Durchschnitt des Spotify-Deutschrap-Ultrakapitalismus aber sehr von den Nazis unterscheidet, ist in Fragen der Qualität. Er trifft meist nicht meinen Geschmack, aber da haben Leute Ahnung von Musik und man kann erklären, wieso etwas auf finanzieller Ebene und/oder in einer Popwelt funktioniert. Nazirap ist ja trotz aller technischer Fortschritte bei den Produktionen immer noch dermaßen traurig und schlecht, dass ich den Eindruck habe, dass die Motivation einer Organisationslogik entspringt. Nazistrukturen wollen das halt machen, weil die jungen Leute es hören und sie Geldwäsche betreiben können. Und Nazirapper wollen es machen, weil es ihnen Fame bringen könnte. Und die 200 Hörer, die keine gekauften Klicks sind, wissen halt nicht, dass Rap auch interessant sein kann. Oder täusche ich mich da? Du bist ja Musikwissenschaftler, vielleicht liege ich ja falsch.
Hindrichs: Naja, Du liegst vielleicht nicht falsch, ich wäre aber vorsichtig mit so einer pauschalen Aussage, dass RechtsRap insgesamt qualitativ schlechter ist. Für die Anfangszeit um 2010 rum lässt sich das sicher so sagen, die ersten RechtsRap-Projekte kamen ja auch gar nicht von Leuten, die sich als Rapper oder HipHopper verstanden haben, sondern das waren Nebenprojekte von eigentlich ‚klassischen‘ RechtsRock-Bands. Das war qualitativ damals alles sehr unbeholfen und mehr gewollt als gekonnt. Das änderte sich dann aber schon, als Julian „Makss Damage“ Fritsch an den Start ging. So übel der in Sachen Lyrics und extrem rechter Ideologie auch ist, rappen kann er dann halt leider schon ganz gut. Ähnliches gilt auch für Jann Blunhoff, der seit einiger Zeit als „Azatro“ RechtsRap macht. Auch der ist wie Fritsch sozusagen „von Haus aus“ Rapper und dieser ganze extrem rechte Dreck kam erst später hinzu. Aber natürlich sind die beiden in Sachen Skills eher die Ausnahme. Insgesamt, also Fritsch und Blumhoff eingeschlossen, finde ich es spannender, dass RechtsRap in Sachen Beats dem aktuell angesagten Stand der Dinge immer so ein paar Jahre hinterher hängt. Die aktuellen Produktionen klingen für meinen Geschmack doch sehr nach dem, was vielleicht 2015/16 beattechnisch so angesagt war, aber 2024 dann halt schon ein wenig aus der Zeit fällt. Und trotzdem: Produktionstechnisch sind die aktuellen RechtsRap-Produktionen insgesamt schon sehr gut gemacht, aber was das Soundtechnische angeht hat die extrem rechte Musikszene ja insgesamt während der letzen zehn, fünfzehn Jahre ziemlich aufgeholt.
Ja, aber eine rauscharme Aufnahme ist ja zum Glück nicht das Geilste an Rap. Aber ich werd einen Teufel tun und den Nazis erklären, was sie falsch machen. Ein Szenario, das ja auch bei der Diskussion nach deinem Vortrag angerissen wurde, ist die Frage, ob da einfach durch verschiedene Entwicklungen die Entstehung national befreiter Rapszenen inklusive Publikum entstehen kann. Weil die Konzerte ja dann doch des öfteren gar nicht stattfinden können, weil die Polizei das dann doch verhindert. Eine Voraussetzung ist aber schon geschaffen: Es gibt junge Leute, die Rap kennen, aber nichts von HipHop wissen. Die nicht wissen, dass das als primär von Schwarzer Kultur geprägtes Phänomen entstand. Die z.B. nur Rap auf Deutsch hören usw.
Hindrichs: Wenn ich feststelle, dass etliche RechtsRap-Tracks produktionstechnisch sehr gut gemacht sind, hat das nix mit „rauscharmen Aufnahmen“ zu tun, das sind zum Teil echt fett produzierte Sachen dabei. Dass Kai „Proto“ Naggert ausgerechnet (und kaum überraschend) Kollegah und Fler als seine raptechnischen Vorbilder ansieht, hört man seinen Tracks auf jeden Fall an. Beim Rappen fehlen ihm (noch) technischen Skills von Kollegah, aber dieser typische Bombast-Sound, den hat er schon gut drauf (ist halt, wie gesagt, nur ein bisschen arg 2016).
Ich halte es aber ohnehin für fatal, extreme Rechte in Sachen technischer (oder sonstiger) Fähigkeiten zu unterschätzen. Dieser Move, dass Nazis ohnehin zu doof für dies und das sind, ist arg überheblich und birgt die erhebliche Gefahr, extreme Rechte nicht ernst zu nehmen. Nichts wäre falscher. Und das manche jungen Menschen nix von HipHop und dessen Geschichte wissen, ist natürlich irgendwie bedauerlich, aber selbst wenn mehr junge Menschen die Schwarze Geschichte des HipHop kennen würden, würden die extremen Rechten doch nicht damit aufhören, RechtsRap zu machen?! Abgesehen davon scheint mir die unterschwellig mitformulierte Frage „wem gehört eigentlich HipHop?“ ausgesprochen heikel zu sein…
Ja klar, das ist aber eben nur auf technischer Produktionsebene professioneller als früher. So auf der Ebene, auf der Kollegah der bessere Rapper ist, weil sein Reim mehr Silben und er „sowieso mehr Fans“ hat. Bombast ist ja noch längst nicht musikalisch interessant oder schön. Da vermischt sich natürlich auch die inhaltliche Kritik mit Geschmacksfragen, aber die geschmacklose Kälte des Spätkapitalismus drückt sich da schon ganz gut aus und verbindet dann auch Kollegah mit solchen Nazirappern. Passt ja auch vom Weltbild her sehr gut: Männlichkeit auf 100, geh deinen geraden Weg und iss rohes Fleisch, Verschwörungsgelaber bis hin zu haarsträubendem Antisemitismus (z.B. das Video zu „Apokalypse“) und bei Kritik immer sofort in die Opferrolle. Ich mein gar nicht, dass das deswegen nicht in Zahlen erfolgreich sein könnte, ist ja traurig genug, dass es so ist. Aber der Naziabklatsch eines Sounds und einer Haltung, die schon im „Original“ genug faschistoide Menschenverachtung transportiert, scheint mir nicht so überzeugend.
Dass HipHop ein maßgeblich von Schwarzer Kultur geprägtes Phänomen ist und Nazis auch im Rap nix verloren haben, finde ich noch nicht so problematisch. Oder welche Heikeligkeit meinst du? Ich vermute mal die autoritäre Versuchung, die darin steckt, wenn man Deutungshoheit so hoch hängt, dass man bestimmen darf, wo es langgeht und diese Macht „intern“ auch für z.B. Misshandlung weiblicher, minderjähriger Fans nutzt?